Wenn die Selbstverpflichtung dem Geschäftsinteresse entgegensteht, lässt das Verhalten sich vorhersehen.
05.05.2019 | 7 Minuten
Eigentlich hat nur Facebook selbst ein großes Problem: Die Geschäftspraktiken des Unternehmens führten in der jüngeren Vergangenheit zu diversen Skandalen. Die Politik, hüben wie drüben, bemühte sich, angesichts der aktuellen Vorfälle besonders streng dreinzublicken. Bisweilen macht das Wort ›Zerschlagung‹ die Runde. Solche Ratlosigkeit markiert indes ein viel größeres Problem: Die Abhängigkeit der Welt von diesem nicht wirklich ›sozialen‹ Netzwerk.
Nützlicher Mythos vom Daten-Multi
News-Kanal, Messenger, Spiele-Apps, digitales Netzwerk — die Angebote der Plattform versprechen nur deshalb einen hohen individuellen Nutzen, weil hinter ihnen das simple Kalkül steht, möglichst viele Nutzer möglichst lange in der eigenen Umgebung zu halten. Sie bilden aber lediglich die Köder für Massen an Menschen, die in die Rolle der Cashcow schlüpfen, meist ohne es zu bemerken. Facebook kann ohne Übertreibung als größte Farm auf Erden gelten: zwar nur virtuell, aber mit täglich mindestens 1,5 Milliarden Nutztieren.
Die romantische Verklärung der Plattform, sei es in Form eines Lobliedes auf ihre Rolle als Speerspitze einer neuen, menschenfreundlichen und hyper-produktiven digitalen Ökonomie, sei es als Mahnrede auf vorsintflutliche Enthemmung jeglicher Couleur, baut seit ihrem Online-Start mit an ihrem Nimbus, über die Profanität des Diesseits hinauszuweisen und sich auf einer Meta-Ebene zu bewegen, die sich dem Zugriff durch alle Trivialität entzieht. Spätestens die Auftritte des Facebook-Gründers vor dem us-amerikanischen Kongress wie vor dem EU-Parlament, inklusive des anschließenden aufgeregten Geschnatters der Journaille, legten die Ohnmacht der Politik offen gegenüber einem Geschäftsführer, der sich selbst vermutlich höchstens noch mit mittlerweile Mythos gewordenen Figuren wie dem jung verstorbenen ehemaligen Apple-Chef vergleicht. Irdische Maßstäbe erkennt er einfach nicht an — damit bedient er ganz geschickt immer wieder ein beinahe biblisches Frame, an dem die Weltöffentlichkeit nur zu gerne selbst mitstrickt: dem von dem Sündenbock, der alle individuelle wie auch kollektive Schuld auf sich lädt und die Gemeinschaft dadurch von aller Sünde befreit. Neudeutsch nennt sich eine solche Struktur gerne auch mal ›Bad Bank‹.
Wer manipuliert hier eigentlich?
Diese Rollenverteilung kommt all jenen ganz gelegen, die selbst nicht die Entschlossenheit für Veränderungen oder Durchgriff aufbringen. Beinahe putzig nimmt es sich beispielsweise aus, wenn führende deutsche Medienhäuser sich naiv wundern, weshalb die neue so genannte ›Transparenzoffensive‹ zur Europawahl im übertragenen Sinne schon im Foyer endet. Tatsache bleibt doch: An Facebooks geschäftlichem Interesse, möglichst viele Nutztiere möglichst lange auf seiner Farm zu halten, ändert sich rein gar nichts. Glauben wir dem von der Politik immer wieder vollmundig bekräftigten Versprechen von der freien Marktwirtschaft, lässt sich daran auch nichts Verwerfliches finden. Inkonsequenz müssen sich dagegen alle vorwerfen lassen, die die große Maschine mit ihren Inputs selbst weiter ölen: Nachrichtenautoren, Medienhäuser, Nichtregierungsorganisationen, Celebrities, politische Parteien und weitere.
Statt also immer wieder Fake News als Gespenst durch das Dorf der öffentlichen Panikmache zu treiben, sollten wir zwei Maßnahmen ernsthaft in Betracht ziehen: Wer den ehrlichen Kontakt zum Publikum pflegen möchte, löscht umgehend seine Facebook-Präsenz und eröffnet eine eigene Webseite, einen eigenen Blog oder dergleichen. Wer aber ›Nachrichten‹ in sozialen Netzwerken verbreitet, wird, sogar in geschlossenen Bereichen, als Herausgeber für ihre Qualität haftbar gemacht. Klar, das erfordert mehr Anstrengung, als allein den Plattformen wie Facebook, Youtube und Co. die Aufsichtspflicht aufzudrücken. Aber sogar mit einer Mistgabel in der Hufe wird der Bock nicht zum Gärtner. Denn während die Öffentlichkeit sich mittlerweile anhaltend empört, verdient Facebook weiterhin viele Milliarden — aber nicht mit sauberen Inhalten, sondern mit dem Ausspielen von Werbung. Ersteres wird das Unternehmen deshalb höchstens in dem Maße betreiben, wie es der eigenen Imagepflege dient. Mit letzterem dagegen macht es sein Geschäft.