Hier winkt der Deal des Jahrhunderts!

Viel Geld auszugeben, hilft uns als Gemeinschaft nur dann, wenn wir es nicht verprassen. Statt in Konsum und Wachstum sollten wir es lieber in Weiterentwicklung anlegen.

Mutti trägt heute Spendierhosen. Da atmet das ganze Land auf, denn in der letzten Rezession, die sich ja auch schon so richtig gewaschen hatte, ging es wirklich allen Menschen so richtig schlecht — also zumindest vielen, ganz bestimmt, das kam ja ständig in den Medien. Also jetzt nicht zwangsläufig denen in der eigenen Familie oder im sozialen Umfeld. Aber irgendwer wird schon darunter zu leiden gehabt haben … Da tut es gut zu sehen, dass der Bundesregierung diesmal kein Betrag zu hoch erscheint, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Vor der letzten Bundestagswahl klang das alles noch ganz anders: Für die gesamte Legislaturperiode bis zum Jahr 2021 sollten eigentlich nur 30 Milliarden Euro für politische Gestaltung zur Verfügung stehen, alle anderen Mittel seien längst gebunden. Deshalb zunächst einmal: Hut ab! Das »größte Konjunkturpaket der Geschichte gegen die größte Wirtschaftskrise der Geschichte« vervierfacht ganz locker den Betrag einer Legislatur. Auf zur Party mit Bazooka-Scholz!

Wachstum essen Fortschritt auf

Allerdings: Nicht nur professionelle Fragensteller*innen beschleicht das ungute Gefühl, dass die Politik des großen Löffels längst über keine reale Grundlage mehr verfügt. Wie weit auch immer künftige Bundesregierungen die Schulden strecken, die der vermeintliche Wirtschafts-Energizer verursachen wird: Schon jetzt steht jeder Mensch in der Bundesrepublik Deutschland mit 13.000 Euro in der Kreide — und zwar nicht für seine eigenen Exzesse, sondern für die Gemeinschaft. Noch einmal siebzehn Scheine müsste er zusätzlich aufbringen, um unserem Land die seit Generationen verschleppten Investitionen angedeihen zu lassen. Klug wirtschaftet in einer solchen Lage also der, der dafür Sorge trägt, dass jeder Steuer-Euro auch einen gehörigen Nutzen stiftet. Dass eine erneute Abwrackprämie diesmal draußen bleiben musste, verdient kein Lob, sondern erscheint lediglich folgerichtig: Bei gemeinschaftlichen Kosten von 20 Cent je Kilometer belastet der Autoverkehr uns alle nämlich mit Umwelt- und Gesundheitsschäden im Wert von rund 128 Milliarden Euro: und zwar jährlich. Es bräuchte jedes Jahr ein Konjunkturpaket von derselben Höhe, um das wettzumachen.

Das Fahrrad, auf der anderen Seite, stiftet einen Nutzen in Höhe von 30 Cent je Kilometer. Das Umweltbundesamt hält es für möglich, 30 Prozent der Autofahrten durch Radfahrten zu ersetzen. Das muss uns dicke Eurozeichen in die Augen zaubern. Denn mit 526 Millionen Personenkilometern (Seite 13) auf dem Fahrrad statt im Auto (nur Fahrer) sparten wir nicht nur rund 105 Millionen Euro an gemeinschaftlichen Kosten des Autofahrens ein, wir generierten auch noch einen gemeinschaftlichen Profit von rund 158 Millionen Euro — und zwar täglich! Investierten wir auch nur zwanzig Prozent des Nutzens, den das Radfahren durch die Verlagerung zusätzlich stiftet — also jährlich rund 11,2 Milliarden Euro —, und erzielten damit eine jährliche Verlagerung von einem Prozent, erreichte der gemeinschaftliche Nutzen des Radfahrens nach 19 Jahren bereits dieselbe Höhe wie der gesamte bis dahin aufgelaufene Investitionsbetrag und überstieg diesen nach 31 Jahren auf das 2,5-fache. Politiker aller Parteien: Ihr wollt einen ›Green New Deal‹? Das hier ist er!

Wo ein Wille, da auch ein Weg

Geübte Kritiker erkennen aus dem Stand den Schwachpunkt des Modells: Radfahrten weisen eine deutlich niedrigere mittlere Distanz auf und können demzufolge gar nicht so viele Personenkilometer erbringen wie das Automobil; nach aktuellen Werten sogar nur rund 25 Prozent einer Autofahrt. Die Rechnung ginge also keineswegs auf. Allerdings: Die jährlich rund 6,4 Milliarden Personenkilometer, das ist eben genau ein Prozent des jährlichen Verkehrsaufwands per Pkw (nur Fahrer) sparten wir damit ja trotzdem ein. Nach 31 Jahren beliefen die vermiedenen Personenkilometer per Pkw sich auf phänomenale drei Billionen, was einem vermiedenen gemeinschaftlichen Schaden von 595 Milliarden Euro entspräche. Die durch das Fahrrad sogar mit nur einem Viertel der Personenkilometer an gemeinschaftlichem Nutzen erzeugten 263 Milliarden Euro kommen noch oben drauf.

Ob wir dafür überhaupt 11,2 Milliarden Euro pro Jahr einsetzen müssten, sei dahingestellt. Es handelte sich immerhin um eine Kopfpauschale von rund 135 Euro je Bundesbürger*in — und damit um das Siebenfache dessen, was der Nationale Radverkehrsplan 2020 (S. 63) als maximalen Finanzierungsbetrag ausweist. Letzten Endes ginge es ja gar nicht um das verfügbare Budget, sondern um ein handfestes Ergebnis: unser Verkehrssystem zu einer konsistenten Radfahr-Erlebniswelt umzugestalten, zu einen idealen ›Vélotop‹. Die Maßnahme mit der größten Wirkung ließe sich freilich schon jetzt und beinahe zum Nulltarif finanzieren: »Eine Stadt ist nach meiner Definition dann lebenswert, wenn sie das menschliche Maß respektiert. Wenn sie also nicht im Tempo des Automobils, sondern in jenem der Fußgänger und Fahrradfahrer tickt.«, sagt beispielsweise der Architekt Jan Gehl. Und der Verkehrsplaner Rudolf Pfleiderer merkt an (S. 7): »Da das Verkehrswachstum eine Folge der Beschleunigung ist, muss das Ziel einer ökologischen Verkehrspolitik die Umkehrung, nämlich die Entschleunigung, sein.« Ein flächendeckendes Tempolimit von 20 km/h innerorts dürfte sich also als die allerbeste Investition erweisen. So geht Fortschritt, ganz ohne Wachstum.