Der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum soll durch ein manipulierendes Narrativ in Verruf geraten.
20.11.2020 | 6 Minuten
Lobbyismus zeichnet sich schon per Definition nicht durch Aufrichtigkeit aus. ›Haus und Grund‹, der Verband der Häuslehalter*innen, treibt die gezielte Manipulation nun allerdings auf die Spitze: Seine aktuelle Kampagne ›Mogelpackung Mietendeckel‹ versucht, die Fähigkeit der Menschen zur Solidarität zu kapern, ja sogar zu missbrauchen, indem sie den Begriff Gerechtigkeit einer hanebüchenen und zynischen Deutung unterwirft.
Ein Bastard unheiliger Zeitgeister
»Je mehr wir kaufen, desto mehr sparen wir.« Dieses als bauernschlaue Unersättlichkeit getarnte Rezept zur Selbstverschleuderung, das noch dazu all jene Menschen ganz offen als fern der Vernunft entlarvt, die darin eine Erfüllung sehen, hat sich trotz allem als heimliches Mantra breiter Bevölkerungsgruppen etabliert. Die Economy of Scales stellen damit sicher, dass ihr Produktionsüberschuss durch einen bedarfsunabhängigen Überkonsum mehr als nur geringe Grenzprofite erzielt. Menschen als Konsumsklaven. Dem Immobilienverband bzw. seiner Werbeagentur kommt diese Groteske gerade recht, vor allem in seiner Umkehrung. Sie bauen daraus, in trauter Eintracht mit CDU-Abgeordneten, den Vorwurf, der Mietendeckel führe zu Ersparnissen, die bei höheren Mieten größer ausfielen als bei niedrigeren. Wohlhabendere Menschen, die sich bislang höhere Mietausgaben leisten könnten, sparten dadurch mehr Geld ein als Geringverdiener*innen.
Mit einer solch verqueren Argumentation müssten wir auch unser Gesundheitswesen als ungerecht anprangern: Es könne doch wohl nicht sein, ließe sich argumentieren, dass schwerer erkrankte Patienten mehr Therapie genössen als leichter erkrankte Patienten, bis ihre Gesundheit wiederhergestellt ist. Oder die Kapitalerträge: Weshalb fragt eigentlich niemand, wie es angeht, dass eine Person mit zehnfach so hohem Anlagevermögen wie eine zweite Person auch zehn Mal so hohe Renditen oder Zinsen erwarten kann und nicht nur genauso hohe? Ungerecht! Der vermeintliche Totschläger lässt sich aber auch gegen den Verband der Häuslehalter*innen selbst einsetzen: Jede der vier Gebührenstufen für den Mitgliedsbeitrag benachteiligt diejenigen Wohnungs- und Grundstückseigentümer*innen mit weniger und bevorzugt diejenigen mit mehr Vermietungsobjekten. Absolut ungerecht: Die wohlhabenden Eigentümer*innen sparen mehr Gebühren, insbesondere diejenigen mit mehr als 15 Einheiten!
Bezahlbarer Wohnraum ist gerecht
Abgesehen davon heißt der Mietendeckeln nun einmal nicht ›Mietenrabattgesetz‹. Die Stimmungsmacher*innen täuschen also über dessen Zielsetzung hinweg, wenn sie behaupten, Mieter*innen sollten damit zu Mieteinsparungen gelangen. Stattdessen geht es laut Informations-Faltblatt der Berliner Senatsverwaltung darum, »den Mieterinnen und Mietern eine Atempause [zu verschaffen] und den galoppierenden Mietpreisen einen Riegel [vorzuschieben].« — also darum, dass mehr Menschen sich die Miete für eine Wohnung überhaupt leisten können. Böswillige Irreführungen solcher Couleur sind wir aber auch in einer anderen Branche bereits gewohnt: So stilisieren raffsüchtige Interessenvertreter*innen gerne nicht die Versorgung mit Mobilitätsgelegenheiten, sondern mit Automobilität zur sozialen Frage.
Dass der Mietendeckel die jahrzehntelangen Fehler und Versäumnisse der Berliner Wohnungspolitik nicht wird heilen können und deshalb lediglich als Verlegenheitslösung gelten kann, versteht sich von selbst. Dass ein Lobbyverband für seine Interessen trommelt, gehört per Definition zu seiner Aufgabe und taugt nicht als Vorwurf. Dass er dafür aber nicht nur Zwietracht inkauf nimmt, sondern auf so unwürdige Weise direkt und absichtlich Neid und Missgunst überhaupt erst zu stimulieren versucht, anstatt sachliche Überzeugungsarbeit zu leisten, muss maximal beschämen. Welche Agentur auch immer sich da als Handlanger betätigte: Sie muss es dringend nötig gehabt haben.