Gutenberg sollte anders heißen

WordPress macht einen Schritt zurück. Aus der dogmatischen Trennung von Content und Style wird nun WYSIWYG.

  20.12.2018 | 4 Minuten  

Wir erinnern uns: Als Johannes Gutenberg um das Jahr 1450 den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand, ging die Verbreitung von Wissen plötzlich deutlich schneller voran. Verständlich, dass WordPress, die heute am weitesten verbreitete Content Management Software, seinen Namen für ihren nächsten Evolutionsschritt gewählt hat. Leider passt beides so gar nicht zusammen.

Massenkompatibel gegen professionell

Er wirbt damit, dass Inhalte nun spielend leicht von jedermann hinzugefügt, bearbeitet und gepflegt werden können, ohne dezidierte Programmierkenntnisse, und zwar mithilfe der Block-Technologie. Das stimmt, und der bzw. die Autor*in erhält bereits innerhalb des Editors die Vorschau auf das finale Erscheinungsbild seiner bzw. ihrer Bearbeitung. Das ruft Erinnerungen an Microsoft Word und Co. wach: What you see is what you get. Das Tool als solches hat seine Berechtigung, legt es doch die Schwelle für Web-Laien deutlich niedriger als bisher.

Wer allerdings im beruflichen Kontext regelmäßig darauf festgelegt wird, ein Textverarbeitungsprogramm aus dem Hause Microsoft, oder alternativ auch eine bekannte Open-Source-Entsprechung, einzusetzen, weiß um die Folgen: Geschmacksvielfalt, Formatchaos und am Ende der wenig subtile Eindruck eines schlecht gepflegten Dokuments — insbesondere dann, wenn mehrere Autoren daran herumwerkeln. Während im Kontext der Office-Anwendungen die Austauschbarkeit von Dateien als Argument durchaus greift, gilt das für den neuen WordPress-Editor keineswegs. Jede einzelne Installation des Open-Source-CMS stellt bereits ab Werk alle notwendigen Werkzeuge bereit. Gutenberg macht sie nur scheinbar massenkompatibel, aber ganz sicher zum Einfallstor für persönliche Geschmacksverirrungen. Frontpage als CMS, unsauberer Code inklusive. Willkommen zurück in den Nullerjahren. Kleiner (ironischer) Lichtblick: Der fade Einheitsbrei kostenfreier oder -günstiger generischer Standard-Templates erfreut sich vielleicht bald der liebevollen Aufhübschung durch individuelle Vorlieben und Effekte.

Es spricht nichts dagegen, diesen Editor anzubieten. Allerdings stünde ihm eher die Rolle als Option denn als neuer Kern des Backend zu. CSS gehört nun einmal in das Template. Gutenberg erlangte durch Professionalisierung und Standardisierung zurecht Weltruhm. Ein Editor, der beides wieder zurückdreht, sollte nicht den Namen des prominentesten europäischen Buchdruckers erhalten.