Digitalisierung im Kopf

Bits und Bytes können helfen, Begreifen zu fördern und Standards zu etablieren. Den Verstand ersetzen sie nicht.

  16.11.2018 | 5 Minuten  

Während die einen ›die Digitalisierung‹ längst zum Kern ihrer neuen Erlösungsfantasie erheben, schwelgen die anderen beharrlich in ablehnendem Misstrauen. Darin mag diffuses Unbehagen mitschwingen, möglicherweise nicht einmal völlig zu Unrecht. Denn wie so oft lebt der — bislang weitgehend illusorische — Diskurs allein davon, dass die Aussicht auf satte Profite zwar die schillerndsten Visionen diktieren lässt, umgekehrt aber, gelinde gesagt, niemanden dazu einlädt, einmal eine wirklich nützliche Begriffsbestimmung zu wagen. Klar scheint nur, dass der ›digitale Wandel‹ auf jeden Fall irgend etwas mit Internet zu tun habe — streng genommen ein ebenfalls absichtlich gepflegter Irrtum.

Wider den ›digitalisierten Mist‹

Sei es drum. Digitalisierung bietet selbstredend auch Chancen, allerdings eher abseits vom modischen Marketing-Sprech. Um am Ende ihrer Verarbeitung wahrheitsgetreue Ergebnisse ausgeben zu können, benötigt die Maschine gleichermaßen korrekte wie exakte Inputs. Das zwingt dazu, sich mit den Systemen, ihren elementaren Bestandteilen und deren Zusammenhängen untereinander noch einmal völlig neu auseinanderzusetzen. Die Übersetzung in ein maschinenlesbares Format könnte ganz nebenbei dazu führen, ein viel besseres Verständnis für die Materie zu entwickeln als bisher. Kommunizieren dann zwei oder mehrere Einheiten miteinander, sollten sie möglichst dasselbe Format verwenden. Ein Standard entsteht.

Wahr ist aber auch: Für die Bewältigung des Alltags wiegt die funktionstüchtige Realität viel schwerer als ihr virtuelles Abbild. Ein Radroutenplaner beispielsweise bietet gute Unterstützung für Reisen in unbekanntes Terrain. Der tägliche Weg mit dem Fahrrad zum Arbeitsplatz profitiert aber von guten Radwegen deutlich stärker. Auch Busfahrgäste fühlen sich mittels App über Verspätungen sicherlich gut informiert. Wirklich nutzbar wird der Linienbus aber erst durch pünktliche und regelmäßige, am besten leicht merkbare Abfahrtszeiten. Der erste Schritt einer erfolgreichen Digitalisierung bestünde also darin, die Wirklichkeit in Ordnung zu bringen; daran schlösse sich die Abwägung an, welche realen Gegenstände und Vorgänge überhaupt einer maschinellen Verarbeitung bedürfen. Eventuell stellt sich heraus, dass Apps und Internet längst nicht in allen Fällen echten Nutzen stiften.

App im Kopf

Denn den weitaus leistungsfähigsten Verarbeitungsapparat trägt der Mensch selbst mit sich herum. Je mehr Rechenoperationen er aber auf künstliche Intelligenzen auslagert, desto stärker schwinden seine eigenen Fähigkeiten. Die besten Resultate erzielt bei der Digitalisierung daher diejenige Gemeinschaft, die den Verstand ihrer Angehörigen ertüchtigt, und zwar weniger durch die generöse Spende technischer Geräte als vielmehr durch die Begeisterung für das eigene Denken. Denn nur das, was wir in Freude und Leidenschaft erschaffen, bleibt uns erhalten. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder doch nicht?