Es geht nicht um’s Klima, Greta!

Dass der CO2-Ausstoß nur einen kleinen Anteil des gesamten Schadens durch den motorisierten Individualverkehr ausmacht, kann längst nicht mehr als brandheiße News gelten.

  24.02.2021 | 6 Minuten  

Dieser Marketing-Coup verdient Hochachtung: Der Schaden des Automobilverkehrs für die Gemeinschaft findet längst nur noch als arg verkürzter CO2-Wert Eingang in die öffentliche Debatte. Weil der sich laut einer differenzierten Kostenanalyse aber auf nur zwei Prozent aller ungedeckten externen Effekte beläuft, bleiben umgekehrt rund 98 Prozent des Leides, das der motorisierte Individualverkehr anrichtet, regelmäßig unerwähnt — sogar unter professionellen Diskutant*innen. Perfektes Framing.

Die Rechnung, bitte!

Diese massive Verzerrung führt nicht selten zu abstrusen Fehleinschätzungen. So lassen entsprechende Interessenvertreter beispielsweise gerne die Forderungen verlauten, ›die Wirtschaft‹ dürfe doch bitte ›wegen diesem bisschen CO2‹ nicht daran gehindert werden, unser aller Wohlstand aufrechtzuerhalten, sprich: Lieferverkehre einzuschränken, erwiese sich als Gift für alle. Das Gegenteil ist der Fall. Laut der Studie ›Mobiliät in Deutschland 2017‹ legten Pkw-Fahrer*innen im Untersuchungszeitraum täglich 1,754 Milliarden Kilometer zurück. Daraus ergibt sich ein jährlicher Verkehrsaufwand von 640,21 Milliarden Kilometern. Wenn, wie in oben genannter Studie berechnet, jeder Kilometer mit 0,4 Cent in die Rechnung eingeht, entsteht durch den motorisierten Individualverkehr in Deutschland ein jährlicher Klimaschaden von rund 2,56 Milliarden Euro.

Peanuts, im Vergleich zu den weiteren Rechnungsposten. Abgesehen von ebenfalls marginalen Positionen wie Unfallkosten im Wert von rund 1,9, Schäden an Boden und Wasser im Wert von rund 3,84 und bei Ressourcennutzung und Abfällen im Wert von 4,48 Milliarden Euro wird es durch die sozialen Kosten des Parkens (17,28 Milliarden Euro), durch Luftverschmutzung (35,21 Milliarden Euro) und durch Lärmbelastung (48,65 Milliarden Euro) richtig teuer. Insgesamt schlägt der Pkw-Verkehr nach obiger Aufstellung jährlich mit etwa 128 Milliarden Euro externer Effekte zu Buche. Mal zur Einordnung: Die 550 Milliarden Euro, die die Bundesregierung für die Jahrhundertaufgabe Atomausstieg bis Mitte dieses Jahrhunderts veranschlagt, verschlingt der Pkw-Verkehr in nur etwas mehr als vier Jahren.

Freiheit: unbezahlbar

Bislang gar nicht auf dem Zettel stehen die Kosten der mangelnden Bewegungsfreiheit — als Grundvoraussetzung für die Fähigkeit, zu lernen —; die Kosten durch Entwicklungsstörungen bei Kindern, ausgelöst durch eine verinselte Kindheit; die Kosten durch Vereinsamung aufgrund verminderter soziale Kontakte — hierzu hat der US-amerikanische Forscher Don Appleyard Pionierarbeit geleistet — und auch nicht die Umsatzeinbußen durch den Pkw- gegenüber dem Fuß- oder Fahrradverkehr. Richtig: Radfahrende geben rund zwölf Prozent und Zufußgehende sogar rund 86 Prozent mehr Geld beim Einkaufen aus als Pkw-Nutzer*innen.

Längst nicht jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland hat mit der Automobilindustrie zu tun. Doch sogar falls sich ihre Jobs auf rund eine Million summierten, verursachte jede einzelne Stelle, ob nun im Management oder als Schrauber*in, der Gemeinschaft durchschnittlich einen jährlichen Schaden von 128.000 Euro. Kaum anzunehmen, dass ein solcher Betrag wirklich in den Taschen der meisten Beschäftigten landet. Nur gut einen Wochenlohn bräuchte es indes, um die Klima-Effekte des motorisierten Individualverkehrs zu kompensieren. Merke: Damit das Autofahren für seine Nutzer*innen so unbequem wird, wie es die Gemeinschaft schädigt, kann die CO2-Abgabe gar nicht hoch genug ausfallen. Sie müsste dringend ergänzt werden um eine Lärm-, Luft-, Boden-, Wasser-, Unfall-, Abfall- und Ressourcensteuer. Individuelles Leid und die massiv beschnittene persönliche Freiheit können aber auch die nicht ausgleichen.