Weit entfernt von smart

Von wegen quer durch Europa: Die meisten Güter bleiben lieber in der Nähe.

  19.02.2020 | 5 Minuten  

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, beherrscht sein Handwerk. Aus dem Stand kann er drei Gründe nennen, weshalb das Ministerium eigentlich keinen Einfluss darauf hat, ob die Eisenbahn ihren Anteil am Güterverkehr erhöht: Erstens gebe es einen abgestimmten und beschlossenen Masterplan, zweitens komme der Schienengüterverkehr ohnehin nur auf internationalen Verbindungen infrage und drittens koche jedes Mitgliedsland der Europäischen Union nun mal sein eigenes Eisenbahn-Süppchen.

Kein Anschluss unter dieser Sichtweise

Da scheinen ihm die Publikationen des Kraftfahrtbundesamtes schlicht entgangen zu sein. Das stellt beispielsweise für das Jahr 2018 fest, dass 78 Prozent der auf der Straße beförderten Güter nicht weiter reisten als 150 Kilometer, allein 55 Prozent sogar nur bis zu 50 Kilometern. Fracht scheint sich, genauso wie der Mensch, eher in der Nähe denn in der Ferne heimisch zu fühlen. Lediglich drei Prozent aller Güter überquerten übrigens im Lkw die Grenze zwischen Deutschland und seinen Nachbarn.

Politik als Sandkasten: Die feuchten Träume von transeuropäischen Magistralen, ergo von Großprojekten, lassen sich ganz bequem modellieren, ohne in die Niederungen der Praxis hinuntersteigen zu müssen. So tragen sie allerdings auch ihr Scherflein dazu bei, dass es in der realen Welt bei der Güterbahn nicht voran geht, geschweige denn eine Verkehrswende absehbar wäre. Es gibt genug zu tun im heimischen Schienennetz, alles andere bleibt billige Ausrede — die sich für die Bundesrepublik noch dazu als Bumerang erweisen dürfte: Immerhin kommt ausgerechnet Deutschland seinen eigenen Zusagen nur schleppend nach und bremst damit die tatsächlich bereits etablierten europäischen Schienengüterverbindungen, beispielsweise von der Nordsee nach Italien, seit langem massiv aus.

Standard Hausanschluss

Davon abgesehen dürfen wir eigentlich auch den Mitarbeiter*innen des Verkehrsministeriums zutrauen, den Unterschied zwischen Übertragungs- und Verteilnetzen zu kennen, der sich durch viele Infrastrukturthemen zieht. Sogar wenn die Schienenstrecke mit maximalem Tempo und in höchstem Standard wüchse, aber über nur wenige Anschlüsse verfügte, blieben die Frachten weiterhin auf der Straße. Güterverkehr, der auf der Schiene funktionieren soll, muss überhaupt erst auf die Schiene kommen können. Viel mehr als die 6.000 stillgelegten Trassenkilometer schmerzen deshalb die längst nicht mehr vorhandenen Gleisanschlüsse. Je nach Quelle beliefen sich deren Rückbau-Zahlen seit der Bahnreform auf bis zu neunzig Prozent des Bestandes — ein krasser verkehrspolitischer Fehler: Rund ein Fünftel aller Straßengüter reiste laut Kraftfahrtbundesamt im Jahr 2018 im Werksverkehr.

Das Thema Mobilität gestaltet sich eben doch nicht so oberflächlich, als dass jeder, der nur die entsprechenden Begriffe aufgeschnappt hat, leicht mitreden dürfen sollte. Tief unter der Motorhaube verbergen sich komplexe Zusammenhänge, deren Beherrschung Erfahrung, Spürsinn, Kreativität und Agilität erfordern. Wir werden nur dann ein smartes Verkehrssystem erhalten, wenn wir es nicht den wichtigen und auch nicht den lauten, sondern den smarten Persönlichkeiten anvertrauen.