So dringend brauchen wir die Energiewende

Ausgerechnet bei herausragenden Zukunftsaufgaben sparen wir entscheidende Ressourcen ein.

  28.12.2019 | 6 Minuten  

Während Harald Christ im Titel seines Gastbeitrags für das Handelsblatt zwar eine ›Krise des politischen Systems‹ in Deutschland ankündigt, adressiert seine gesamte Analyse am Ende allerdings doch ausschließlich das politische Personal — zu dem er übrigens selbst zählt. Einer seiner Schlüsselsätze lautet: »Wer den Ängsten in der Gesellschaft begegnen will, der muss zuerst die eigenen Ängste in den Griff bekommen.«

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Seine Zeilen tragen allerdings keineswegs dazu bei, sondern fügen dem kakophonen Alarmismus im Gegenteil eine weitere Tonspur hinzu. Fatalerweise. »Angst verengt unseren kortikalen Zugriffsfokus.«, so der Neurobiologe Professor Manfred Spitzer. Der Hirnforscher Professor Gerald Hüther ergänzt: »Solange Sie in der Angst sind, können Sie auf den oberen Hirnbereichen nicht arbeiten. Was dann noch geht, das sind die älteren Muster: Wir fallen dann immer in alte Gewohnheiten zurück.« Die Geister, die Ihr rieft — denn aus Verunsicherung schlagen politischen Erfolg erstrebende Figuren freilich selbst gern Kapital: »Heute steht die Angst, wenn natürlich auch in anderen Dimensionen, als Ressource politischer Panikmache wieder hoch im Kurs.« Zur Wachstumszone verwehrt sie aber durchaus auch einer ganzen Nation den Zugang, die sich dringend weiterentwickeln müsste. Das scheint nun auch den Analysten im unteren Mittelfeld zu dämmern.

Statt uns aber von der Angst lähmen zu lassen, oder, wie Christ, über dieser Lähmung zusätzlich noch in Selbstmitleid zu versinken, müssen wir dringend Energien freisetzen. Das meine ich wortwörtlich. Ich spreche mich ganz deutlich dafür aus, unser politisches und Verwaltungspersonal wesentlich besser zu entlohnen als bisher. Denn erstens fordern wir von ihnen, dass sie alle ihre mentalen Kapazitäten dafür nutzen, die Angst zu überwinden und unsere gemeinschaftlichen Probleme zu lösen. Doch damit die Entscheidungsträger auch wirklich vier Mal so viel mentale Energie aufwenden wie der Durchschnittsbürger — also 80 statt nur 20 Prozent, nämlich für die rationale und tiefe Auseinandersetzung statt der schnellen und bequemen Bauchentscheidung —, müssen wir ihnen eine angemessene Belohnung bieten.

Biete: Belohnung

Zweitens braucht der höhere mentale Energiebedarf entsprechend größere Ressourcen. Es kann uns aber nicht daran gelegen sein, unsere Repräsentanten mit billigem Zucker vollzustopfen und damit fortwährend ihre Gesundheit zu gefährden. Gute Ernährung ist nach wie vor teuer, auch das muss die Entlohnung adäquat abbilden. Drittens und schließlich gilt beim politischen wie allem Fachpersonal, dass der Preis auch die Qualifikation bestimmt. Niedrige Löhne locken kein Pflegepersonal mehr. Auch auf den Stühlen von Funktionsträgern finden sich viel zu viele Restposten, die eben dort die höchste Rendite für ihr übersichtliches Spektrum an Fähigkeiten erzielen können, weil die kompetente Konkurrenz woanders nun einmal höhere Profite realisiert.

Wenn die täglichen Nachrichten immer häufiger den Eindruck vermitteln, dass kaum mehr eine Veränderung zum Besseren gelingt, dann halte ich eine massive Investitionsoffensive in politisches wie Verwaltungspersonal für umso dringender. Erfolgreiche Zukunftsprogramme können nur mit einer Energiewende beginnen: dem massiven Energieanstieg in den Gehirnen der Verantwortlichen.