Menschen verändern ihre Bewegungsweise nicht wegen einer Kampagne — zumal wenn die auch noch schlecht gemacht ist.
10.08.2020 | 9 Minuten
Nicht, dass Dortmund alles falsch machte. Die Kampagne, die Menschen für eine Veränderung ihres Verhaltens zugunsten umweltfreundlicher Mobilität gewinnen will, arbeitet — zumindest dem Anschein nach — mit lokalen Vorbildern, sogar mit Menschen ›wie Du und ich‹. Damit übertrifft sie bei Weitem beispielsweise die ministeriale Oberlehrerhaftigkeit, die etwa das Publikum in Baden-Württemberg regelmäßig zu begriffsstutzigen Pennälern degradiert und ihnen lediglich moralinsaure Lehrsätze um die Ohren haut. Doch auch die Ruhrkumpel leisten sich leider verschiedene Irrtümer und Fehleinschätzungen, die sie einen enormen Anteil des eigentlich möglichen Erfolgs kosten werden.
Kein Anreiz unter dieser Nummer
Das beginnt schon beim theoretischen Ansatz, der bereits an anderer Stelle eine kritische Würdigung erfährt. Dazu kommt ein Wortspiel als Kampagnentitel — ›umsteigern‹ —, das ob seiner Niveaulosigkeit nicht nur die Kampagne und ihre Macher als hoffnungslos dilettantisch-naiv entlarvt. Man nenne ein einziges erfolgreiches Konsumprodukt, das sich mithilfe von Kalauern den Weg nach oben bahnte. Auf Seriosität zu verzichten, können sich eigentlich nur lange etablierte Marken leisten; sie balancieren das dann aber mit insgesamt hochwertiger Gestaltung und dadurch eben wieder einem seriösen Rahmen aus und lassen keinen Zweifel daran, dass sie selbst die volle Kontrolle darüber ausüben, wann das Publikum lacht. Der Kunstbegriff aus Dortmund dagegen wirkt wie ein bemühter Scherz für schlichte Gemüter, der geradezu um Aufmerksamkeit bettelt wie der Klassenclown, der dafür aber sich selbst entstellen muss — Souveränität, die es bräuchte, um den Menschen die Vorstellung von einer besseren Mobilitätszukunft glaubhaft vermitteln zu können, fehlt hier völlig.
Indem die Kampagne das Umsteigen in den Mittelpunkt rückt, versagt sie sich noch zusätzlich eine deutlich größere Wirksamkeit. Denn Veränderungen kosten mentale Energie, die gut investiert sein will: »Das, was uns auch von körperlichen Anstrengungen abhält: Geistige Leistungen sind anstrengend. Die Ausbildung von Gewohnheiten und Routinen und das Festhalten an ihnen entlastet auch unser Gehirn, und dies ist ebenfalls eine starke Belohnung«,sagt der Hirnforscher Professor Gerhard Roth. »Deshalb müssen die Belohnungsaussichten, die mit den Änderungen verbunden sind, größer sein als die Belohnungen, die man erwartet, wenn man weitermacht wie bisher.« Ganz praktisch lässt sich das daran messen, dass es sogar Jahre dauern kann, bis Menschen sich neue Gewohnheiten erfolgreich angeeignet haben; das tun sie auch nur dann, wenn sich das sprichwörtlich für sie lohnt: beispielsweise indem sie durch eine veränderte Ernährung ihre Gesundheit verbessern. Der Dortmunder Kampagnen-Versuch unterliegt nun sicherlich den denkbar schlechtesten Rahmenbedingungen: Ein Umstieg auf umweltfreundliche Fortbewegung dürfte sich dort individuell noch viel weniger lohnen als in anderen deutschen Großstädten. Aber genau deshalb entpuppt die Entscheidung, die Veränderung als Anreiz zu inszenieren, sich als die genau falsche. Die gar nicht so Kreativen hätten besser einen Wert gefunden, den zu erstreben die Menschen wirklich mobilisiert.
Fortbewegung neu lernen
Schließlich verspricht auch die Abbildung von Gesichtern oder halben Personen auf einheitlich farbigen Hintergrund schon nicht sehr viel und kann davon noch weniger einlösen. Was den Menschen in Bewegung versetzt, ist Bewegung — minimal wenigstens in Form des Minenspiels im Gesicht des Gegenüber, noch stärker allerdings über den Mechanismus des Nachahmens: »Der Mensch ist besser im Imitieren als jede andere Spezies. Er lernt eher von anderen.«, stellt die Hirnforscherin Franca Parianen fest. »In unserer Welt schlägt soziale Intelligenz oft kognitive.« Dafür wäre es allerdings erforderlich, dass wir auf den Dortmunder Plakaten und Webseiten mehr sehen, als uns gezeigt wird. Von Stefanie, 33 und Sebina, 50, heißt es im Text, sie seien autofrei oder wahlweise mal mit dem Fahrrad, mal zu Fuß und mal mit den Öffis unterwegs; Daniel, 60, posiert vor seinem eigenen Kampagnen-Poster. Zwei entscheidende Geschichten erzählt uns keiner von ihnen: ihre Erlebnisse und ihre Erfolge. So verschwenden die Dortmunder, aber eigentlich jede aktuelle Kampagne zur Veränderung von Mobilitätsverhalten, große Potenziale, die sich aus mächtigen sozialkognitiven Mechanismen ergeben, wie beispielsweise aus dem Lernen am Modell. Dass den Formaten außerdem meist jegliche Abbildung von Bewegung fehlt, trägt zusätzlich zum Scheitern bei. Ironie des Schicksals: Dortmund als Stadt identifiziert sich so stark mit dem Fußball, der als körperbetonte Sportart noch dazu einen so hohen Schauwert entfaltet — da hätte es doch eigentlich Impulse regnen müssen, wie nachahmenswerte Bewegung sich in Szene setzen lässt.
Leider scheint landauf, landab noch immer zu gelten: lieber eine schlechte Kampagne als gar keine Kampagne. Darin dürfte allerdings der größte Irrtum überhaupt bestehen. Denn worum geht es angesichts der vielen Tausenden Verkehrstoten, angesichts der zunehmend zerstörten Städte, Dörfer und Wohnumfelder, angesichts motorischer und kognitiver Degenerationen bei ganzen Generationen von Kindern und ja, auch angesichts der Existenz bedrohenden Klimakrise eigentlich? Es geht darum, dass wir alle, ausnahmslos, unser Bewegungsverhalten neu erlernen. Beim Hirnforscher Professor Daniel Wolpert heißt es:»We have a brain for one reason, and one reason only: and that’s to produce adaptable and complex movements.« Das gelingt aber weder durch die Methode des Frontalunterrichts, gehalten vom ministerialen Herrn Oberlehrer, noch durch die Alibi-Kampagne, die schon von Weitem aussieht wie nur halb gewollt und fast gar nicht gekonnt. In Zukunft müsste eigentlich gelten: lieber gar keine Kampagne als eine halbherzige, unterausgestattete oder schlecht gemachte. Geben wir doch das Geld lieber für Umfelder aus, die zur autofreien Bewegung einladen.