Der Bundesrat entlarvt die vermeintlich ›sichere, klimafreundliche und gerechte‹ StVO-Novelle als Benachteiligung des Fahrrads.
21.02.2020 | 7 Minuten
Kommunale Radverkehrsförderung scheitert regelmäßig auch deshalb, weil sie nur sehr zögerlich einsieht, dass das öffentliche Straßenland allen Verkehrsteilnehmer gleichermaßen dienen soll. Fest steht: Solange der Pkw näher an der Haustür parken darf als das Fahrrad, hat es als alternative Fortbewegungsform ein strukturelles Nachsehen. Einerseits beschränken kommunale Verwaltungen selbst — wie beispielsweise ein reich bebilderter Leitfaden für Berlin sehr schön illustriert — das Abstellen von Fahrrädern beziehungsweise die Informationen darüber regelmäßig auf die Gehwegbereiche. Abstellbatterien für Fahrräder auf der Fahrbahn bilden dagegen erstens eine seltene Ausnahme und nutzen, meist an Straßenkreuzungen gelegen, zweitens insbesondere in langgezogenen Straßen niemandem, denn sie erzeugen wiederum eine unzumutbare Entfernung zwischen Abstellanlage und Haustür. Andererseits schlagen die Verwaltungen aber die Hände über dem Kopf zusammen, sobald — etwa durch öffentliche Mietfahrradsysteme — der Platzbedarf auf Gehwegen plötzlich zusätzlich massiv ansteigt.
Nichts spricht dagegen, die Sorgen der öffentlichen Verwaltungen auf der einen Seite und den wachsenden Platzbedarf der Radfahrenden auf der anderen Seite verträglich miteinander zu vereinen: Radler aller Länder: Parkt Euer Gefährt am Fahrbahnrand! Das verhilft dem Fahrrad nebenbei zu der prominenten Erscheinung, die es bislang noch nicht erreichen konnte: nicht als schmarotzendes und ungeliebtes Stiefkind, in den Gefilden der Fußgänger wildernd, sondern als gleichwertiges und ernstzunehmendes Verkehrsmittel — endlich auf echter Augenhöhe mit den vierrädrigen Blechlawinen.
Vorerst gerettet
Das ach so um den Radverkehr bemühte Bundesverkehrsministerium versuchte übrigens, neben anderen Tricksereien, diese Freiheit zu beschneiden. Laut Vorlage für den Bundesrat sollte ein neuer Satz in § 12, Absatz 4 eingefügt werden. »Fahrräder sind außerhalb von Seitenstreifen und Fahrbahnen abzustellen; dies gilt nicht für Lastenfahrräder oder Fahrräder mit Anhänger.« Der Bundesrat lehnte diese Änderung in seiner Entschließung vom 14. Februar 2020 allerdings ab. Beinahe lässt sich aus seiner Begründung sogar ein wenig Süffisanz herauslesen: »Das BMVI hat am 21. November 2019 gemeinsam mit der Verkehrsministerkonferenz, dem Deutschen Städtetag, Deutschen Landkreistag und Deutschen Städte- und Gemeindebund ein ›Bündnis für moderne Mobilität‹ gegründet. Dieses sieht unter anderem vor, dass den umweltfreundlichen Verkehrsmitteln der notwendige Platz einzuräumen ist. Die jetzt vorgeschlagene Regelung steht im Widerspruch zu diesem Kernpunkt der Bündnisvereinbarung. […] Mit dem Wegfall der Möglichkeit, Fahrradstellplätze auf Fahrbahnen vorzusehen, würde die Bundesregierung den Kommunen ein wichtiges Instrument zur Steuerung des Verkehrs nehmen — statt ihnen wie angekündigt zusätzliche Handlungsspielräume zu geben.«
Der Kraftverkehr verleibt sich regelmäßig Flächen ein, die nicht für ihn bestimmt sind — völlig folgenlos. Da glimmt mit dem Schutz der Abstellfreiheit für Fahrräder wenigstens ein kleiner Funke Hoffnung weiter. Dass sie nicht zum besseren Verkehrsfluss für den Kraftverkehr beiträgt, versteht sich von selbst. Umgekehrt steht aber genauso außer Frage, dass, sobald der Kraftverkehr rigoros auf seine eigenen Flächen beschränkt wäre, er sich selbst lahmlegte. Einrichtungen wie etwa die Reichsgaragenverordnung erblickten ja überhaupt erst das Licht der Beamtenstube, um genau diesen Effekt zu verhindern: »Die Zunahme der Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr erfordert, daß die öffentlichen Verkehrsflächen für den fließenden Verkehr frei gemacht und möglichst wenig durch ruhende Kraftfahrzeuge belastet werden. Zu diesem Zweck müssen die Kraftfahrzeuge dort, wo sie regelmäßig längere Zeit stehen, außerhalb der öffentlichen Verkehrsflächen ordnungsgemäß eingestellt werden.« Es darf als Sieg des vom Herrn Bundesverkehrsminister ach so hoch geschätzten ›gesunden Menschenverstands‹ gelten, dass diesem Wahn nicht auch noch die Fahrräder zum Opfer fielen. Vorerst.