Strom an, Hirn aus?

Automobiles Denken stärkt alte Abhängigkeiten und verhindert echte Innovationen in der räumlichen Mobilität.

  21.03.2019 | 7 Minuten  

Schöne neue Mobilitätswelt. »Wir werden uns nicht mehr für ein Verkehrsmittel entscheiden, sondern für ein Ziel«, orakelt Michael Kemme auf welt.de — und entlarvt so innerhalb eines einzigen Satzes, welches Interesse die hysterische Innovations-Rallye um autonome Autos wirklich antreibt. Die Zahl der Fälle, in denen Menschen eine Transportform wählen und sich dann überraschen lassen, wohin sie das führt, nimmt sich schon heute denkbar gering aus und abgesehen vom ehemaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, der bei Amtsantritt äußerte, er cruise nach Dienstschluss mit seinem Pkw gerne einmal ziellos durch die Gegend, um sich zu entspannen, sind auch keine prominenten Beispiele bekannt. Obige Bemerkung muss deshalb Skepsis wecken und führt zwangsläufig zu der Frage, ob die Treiber und die Wegbereiter der Technologie das Prinzip an sich hinreichend weit vorausgedacht haben oder sich stattdessen äußerst kurzsichtig auf schnelle Renditen fixieren.

Wenig mehr als Illusion

Mal ganz abgesehen vom fragwürdigen Nutzen beginnt das bereits bei der Grundannahme, ein Straßenkraftfahrzeug könne sich autonom fortbewegen und in diesem Prozess sämtliche Entscheidungen seiner menschlichen Führungskraft vollständig, sprichwörtlich also restlos, übernehmen. Selbstredend funken sofort die fünf Stufen des Kontrollausmaßes durchs Kleinhirn. Doch bereits ab Level zwei, dem teilautomatisierten Fahren, dürften sich nennenswerte Probleme ergeben. Die betreffen voraussichtlich die Hardware — Wie viel Datenspeicher und Rechnerleistung muss ein autonomes Fahrzeug eigentlich mitführen, um die pro Sekunde anfallenden Daten im Umfang von mindestens einem Gigabyte verarbeiten zu können?; die Software — Werden die digitalen Entscheidungen über Leben und Tod jemals gesellschaftliche Akzeptanz finden, vor allem vor dem Hintergrund, dass sie so leicht zu manipulieren sind?; den notwendigen Grad an Vernetzung, der wiederum die Abhängigkeit vom Gesamtsystem, also Infrastruktur, Funknetz, Technologien der Betreiber etc. massiv verstärkt und angesichts dessen das Adjektiv ›autonom‹ eigentlich das genaue Gegenteil meint; und schließlich auch das Verhalten derjenigen Menschen, bei deren Fahrzeugen eben nicht die künstlichen Intelligenz am Steuer sitzt.

Apropos K.I.: Sie wird niemals in der Lage sein, gleich dem menschlichen Gehirn nennenswerte Abstraktions- und Transferleistungen zu erbringen, sondern sie beherrscht nur diejenigen Szenarien, die ihr eingegeben wurden. Die eigene Programmierung zu erweitern, vermögen allenfalls Figuren aus der Science Fiction. Das selbstfahrende Auto dagegen wird regelmäßige Updates benötigen. Schon wieder eine neue Abhängigkeit von den Herstellern, schon wieder ein Einfallstor für Störungen und Fremdeinwirkung. Nicht nur Windows-Nutzer können davon ein Lied singen. Wollen wir aber tatsächlich auf die Straße lassen, was nicht einmal am PC richtig funktioniert?

Deus Ex Machina fällt aus

Technologiefeind muss sich schimpfen lassen, wer eine Innovation um ihrer selbst Willen rundheraus ablehnt. Darum geht es aber gar nicht. Um eine vernünftige Prüfung, was sie wirklich leisten kann, dagegen schon. Autonome Fahrzeuge ergeben in zwei Szenarien durchaus Sinn: und zwar erstens in geschlossenen Systemen, beispielsweise in großen Lagerhallen, auf privaten Flächen oder dergleichen; Umgebungen also, deren Austausch mit außen strengstens geregelt, gesichert und überwacht werden kann. Oder, zweitens, in offenen Systemen; dann aber lediglich auf Achsen, die einer so strengen Regelung und Kontrolle unterliegen, dass sie doch wieder zu geschlossenen Teilsystemen mutieren. Von solchen Teilsystem haben wir bereits mehr als 30.000 Kilometer Strecke in Deutschland liegen. Sie nennen sich Eisenbahngleise und ermöglichen vielen Milliarden Menschen im Jahr ein aus ihrer Perspektive vollkommen autonomes Reiseerlebnis. Dabei kommen bereits seit Jahrzehnten auch Technologien wie etwa Platooning und Elektromobilität per Oberleitung zum Einsatz.

Dem autonomen Fahrzeug stehen große Zeiten bevor. Aber nicht auf der Straße, als Pkw. Deshalb taugt es auch nicht dafür, all die Schäden, mit denen wir das tägliche Verkehrsgeschehen bezahlen, unter diesem Stichwort einfach wegzuträumen. Ebenso wenig taugt es als Alibi für strukturelle Untätigkeit. Die Debatte um unsere zukünftige Mobilität braucht statt künstlicher Intelligenz viel mehr menschliches Nachdenken. Das machte dann übrigens auch tatsächlich autonom, ganz im Sinne des Wortes.