Männer, die auf Scheiben zielen

Viele kleine Schritte können zur Verkehrswende führen. Billiges Bashing und plumpe Versuche der Umerziehung allerdings nicht.

  27.11.2019 | 7 Minuten  

Die Erkenntnisse aus der Hirnforschung liegen offen: Die Veränderung von Verhaltensweisen lässt sich nur mithilfe eines hohen mentalen Energieeinsatzes bewältigen. Doch das menschliche Gehirn mag den Energiesparmodus und wendet für die Alltagsbewältigung deshalb nur zwanzig Prozent der Mühe auf. »Geistige Leistungen sind anstrengend. Die Ausbildung von Gewohnheiten und Routinen und das Festhalten an ihnen entlastet auch unser Gehirn, und dies ist ebenfalls eine starke Belohnung«, stellt der Hirnforscher Gerhard Roth fest. »Deshalb müssen die Belohnungsaussichten, die mit den Änderungen verbunden sind, größer sein als die Belohnungen, die man erwartet, wenn man weitermacht wie bisher.«

Antreten zum Appell

So gar keine Belohnung stellen allerdings die üblichen Kampagnen zum Verkehrsverhalten in Aussicht, ob nun zum Thema Verkehrssicherheit oder zur Verkehrsmittelwahl. In ätzender Oberlehrerhaftigkeit gefallen die Macher sich dagegen regelmäßig darin, ihre Zielgruppen kollektiv zu Suchtopfern zu erklären, ihnen gönnerhafterweise schrullige Beziehungstipps anzudrehen oder ihnen jetzt aber wirklich mal zu zeigen, wie das mit dem richtigen Verhalten funktioniert. Welche Spielart auch immer gerade zum Tragen kommt, sie zeichnet stets dieselbe Szene: Geltungsbedürftige Männer markieren ihre Opfer mit einer öffentlich sichtbaren Zielscheibe.

Reaktanz zeige sich »bei durchschaubaren und plumpen Beeinflussungsversuchen.«, heißt es wissenschaftlich. Sie führt häufig dazu, dass die Adressaten noch vehementer als bisher an ihrem eingeübten Verhalten festhalten, weil sie die Belehrungsversuche als Angriff auf ihre Freiheit verstehen. Je stärker das Gefühl der Bedrohtheit, desto wahrscheinlicher schlägt die symbolische Verteidigung das lösungsorientierte Verhalten, wie ebenfalls die Wissenschaft zeigt. Nicht nur, dass die Wirkung solcher Kampagnen den Zielen ganz handfest zuwider läuft. Sie stellen zusätzlich diejenigen Menschen bloß, die als Anschauungsbeispiel für typische Fehlermuster herhalten sollen. Zeigefinger und Schamknopf zeugen aber weniger von einem modernen Verständnis von Management als vielmehr von einer wahrlich vorsintflutlichen pädagogischen Auffassung. Daneben gelingt den übrigen Adressaten die Abgrenzung übrigens umso besser: Im Straßenverkehr herrscht Anonymität. Wer also nicht das Pech hatte, von einem Zeigefinger ins Rampenlicht gerückt worden zu sein, was auf 99,9 Prozent der potentziellen Delinquenten zutreffen dürfte, kann im Schutze der Gesichtslosigkeit weitermachen wie bisher. Zumal er ja ohnhin meist straffrei ausgehen wird.

Fünf gute Gründe

Noch einmal Gerhard Roth: »Der Appell richtet sich nämlich an die bewusste, sprachkompetente, rationale linke Großhirnrinde, die von allen Hirnteilen am weitesten von der Verhaltenssteuerung entfernt ist.« Auch der Hirnforscher Gerald Hüther räumt mit einem weit verbreiteten Irrtum auf: »Wer immer noch glaubt, dass man im Hirn irgend welche großen Veränderungen bewirken könne, dadurch dass man den Leuten erzählt, wie man es machen muss, dass man sie aufklärt, dass man ihnen Wissen vermittelt, der wird [durch die Hirnforschung] eines Besseren belehrt.« Nicht nur sie, sondern auch die Psycholgie tragen gemeinsam seit mehr als zwei Jahrzehnten einen stetig wachsenden Haufen wesentlicher Erkenntnisse darüber zusammen, warum und wie wir Menschen uns unter welchen Bedingungen verhalten. Und wie sich das verändern lässt. Die Königsdisziplin, nämlich das Erlebnis — oder in schlau: die ›leibliche Kognition‹ —, findet in Sachen Mobilität dabei grundsätzlich keine Berüchsichtigung. Ein Fehler mit Folgen, die immer schwerer wiegen, je häufiger wir ihn wiederholen. Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman schreibt in seinem Buch ›Schnelles Denken, langsames Denken‹: »Wir denken mit unserem Körper, nicht nur mit unserem Hirn.« Hüther führt das in einem weiteren Vortrag noch näher aus: »Über das, was im Hirn passiert, kann man eigentlich gar nichts sagen, wenn man nicht gleichzeitig mitdenkt, was im Körper passiert.«

Kampagnen zur Verhaltensänderung im Straßenverkehr, die ohnehin nur eine sehr begrenzte Wirkmacht entfalten können, zeigen nur dann echte Erfolge, wenn sie das Erleben des Zielzustands ermöglichen und in den Vordergrund stellen. Diverse Befunde aus den Kognitionswissenschaften untermauern das eindrucksvoll. Übrigens: Solange wir Menschen nicht erkennen können, dass verschiedene Verhaltensoptionen auch unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen, solange also beispielsweise falsches Parken unserem Umfeld genauso gleichgültig bleibt wie richtiges, werden wir erst recht alles beim Alten belassen. Aber das ist eine ganz eigene Geschichte.