Ganz ohne Marktschreier

Für eine echte Mobilitätswende müsste der Mensch seine Rolle wechseln: vom Profitobjekt zum Verantwortungssubjekt.

  27.12.2018 | 5 Minuten  

Mobilität taugt längst als Trendschlagwort. Ginge es nach der Bundesregierung oder den Anbietern von Mobilität — ob nun als Dienstleistung oder in Form technischer Hilfsmittel, sprich Fahrzeugen —, müssten wir alle völlig überzeugt in das wachstumsfreundliche Mantra einstimmen: Mobilität bilde ein Grundbedürfnis des Menschen. In den Zeiten guter Wirtschaftsdaten, geringer Arbeitslosigkeit und hoher staatlicher Einnahmen muss dann aber folgendes Faktum arg verblüffen: Zwischen 2008 und 2017 ging die durchschnittliche Zahl der Wege pro Person und Tag zurück, und zwar von 3,4 auf 3,1, also um rund neun Prozent! Gleichzeitig verzeichnen wir aber rund drei Prozent mehr Verkehrsaufwand (ebd.). Sogar der Klimaschutzbericht der Bundesregierung konstatiert, dass wir Deutsche so viel mehr gefahren sind, dass sämtliche umweltschützende Effekte durch sauberere Antriebe sogar überkompensiert wurden. Was ist da also los?

Allmende, Markt oder Casino?

Es kommt ganz entscheidend darauf an, wer Mobilität definiert — und vor allem: mit welcher Absicht. Wer in der Produktion von Verkehrsaufwand eine wirtschaftsfördernde Maßnahme erkennen mag, der wird die Personenkilometer und ihr seit Jahrzehnten ungebrochenes Wachstum zum Erfolgsindikator für Mobilität küren. Wer mit dem Begriff Mobilität aber meint, dass Menschen ihre eigenen vier Wände verlassen, um an ihren Zielorten eine Funktion wahrzunehmen, ungeachtet der Entfernungen bis dorthin, der muss vor dem Rückgang der täglichen Wege pro Person leicht erschrecken. Sind wir also weniger mobil oder mehr? Es mag stimmen, dass Mobilität stets den Einsatz produktiver Arbeitskraft erfordern wird. Aber begingen wir nicht denselben Fehler ein zweites Mal, wenn wir in unseren Visionen von der Zeit nach dem Automobil einseitig eine ›neue Mobilitätsindustrie mit den Arbeitsplätzen von morgen‹ herbeiträumten? Angesichts von bis zu vier Grad, um die das Klima sich bei gleichbleibenden Anstrengungen erwärmen wird: Dürfen wir es uns da leisten, Mobilität weiterhin als Goldesel zu betrachten und ins Zentrum unserer ungebrochenen Profitfantasien zu rücken?

Sämtliche Signale der deutschen Verkehrspolitik lassen bislang keine überlegte Vorausschau erkennen, sondern höchstens naive Technologieverliebtheit; insbesondere aber: die stets wiederholte Einladung zum großen Marktgeschrei der Unternehmen. Das wird die Menschen in unserem Land weder mobiler machen noch das zwischenmenschliche Klima sozialer, noch behebt es akute Probleme noch wertet es unsere Lebensräume auf. Es wird allein dafür sorgen, dass wenige Profiteure weiterhin ihren Schnitt machen und vor allem stets danach trachten, ihn zu vergrößern. Und dass die Erderwärmung sich beschleunigt. Deshalb sollte es unbedingt eine große öffentliche Debatte darum geben: Was genau ist Mobilität eigentlich, und wieviel brauchen wir davon wirklich?