Indem das Europäische Parlament den Klimanotstand ausruft, gibt es den Kampf praktisch verloren.
29.11.2019 | 11 Minuten
Zugegeben, der Vergleich mit den Notstandsgesetzen der Weimarer Republik, den die CSU zieht, offenbart einen frappierenden Mangel an Urteilsvermögen. Denn der ab jetzt geltende europaweite Klimanotstand erlangt keinerlei rechtliche Bindungswirkung. Es handelt sich bei diesem Hinweis also um nichts weiter als um geschmack- und gewissenlose Panikmache. Der Beschluss des Europäischen Parlaments genügt sich selbst als symbolische Handlung und sonnt sich im dialektischen Diskurs, den der Blätterwald dankbar führt. Darin liegt aber das Grunddilemma: Solche Gesten, so der Stand der Forschung, ersetzen üblicherweise ein adäquates Verhalten zur Lösung des eigentlichen Problems. Bundestrainer Joachim Löw beharrte sogar nach dem frühen Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft schon nach der Gruppenphase der Fußballweltmeisterschaft 2018 — ganz in Politikermanier — darauf, es habe einen guten Plan gegeben, der nur leider nicht habe umgesetzt werden können. Dem Klimanotstand wird es nicht anders ergehen.
»… dass ich Gutes unterlassen habe …«
Den Klimawandel wirklich erfolgreich einzudämmen, erforderte stattdessen Durchsetzungsfähigkeit. Nichts anderes verlangen die Jugendlichen der Bewegung Fridays for Future, wenn sie öffentlichkeitswirksam die Leistungsfähigkeit der Demokratie infrage stellen — wofür sie sich sogar vom Bundespräsidenten einen Rüffel einfangen. Selbstverständlich kann auch die Herrschaft durch das Volk entschlossene und tatkräftige Politik hervorbringen. Die scheitert hierzulande nämlich nicht an der Regierungsform, sondern an deren Repräsentanten. Jedes Mal, wenn Regierungschefs nach Brüssel rennen, um höhere Grenzwerte zu verhindern, weil Traktoren durch Berlin fahren oder die Eignerfamilie eines Autokonzerns eine Parteispende veranlasst, und jedes Mal, wenn Oberbürgermeister die Bundesregierung um einen nationalen Masterplan Mobilität anbetteln, weil sie die schwierigen Themen vor der eigenen Haustür scheuen, versündigen sie sich an der Demokratie, nicht die ungeduldige Jugend.
Die Erderwärmung zu deckeln, machte vor allem neue Konzepte notwendig. Das meint nicht die Niederschrift der üblichen Rezepte auf neues Papier. Stattdessen bräuchten wir dringend völlig neue Denkansätze, die bewusst aus der engen Problemdefinition ausbrechen. Schon Albert Einstein soll gesagt haben: »We can not solve our problems with the same level of thinking that created them«. Politisches Handeln führt üblicherweise zu Systemen, die zu verlassen eine hohe Menge mentaler Energie kostet. Doch Befreiung ist möglich. Paul Watzlawick, ein österreichischer Psychiater und Philosoph, nannte das die ›Lösung zweiter Ordnung‹:»Mensch wie Tier hat die fatale Eigenschaft, an einmal gefunden Lösungen festzuhalten, und zwar auch dann, wenn die Umweltbedingungen sich schon so weit geändert haben, dass die Lösungen, die einmal die bestmöglichen oder vielleicht sogar die einzig möglichen waren, nicht mehr zutreffen — und dass auf diese Weise die Lösung zum Problem wird.«, analysierte er in einem viel beachteten Vortrag als Begründung für einen Wechsel der Ordnungsebene, um Probleme tatsächlich lösen zu können.
Miserere Nobis
Das alles bietet der Klimanotstand nicht. Er genügt sich mit reiner Symbolik, unterlässt das konkrete Handeln und führt noch dazu — absichtlich, so will es scheinen — sprachlich in die Irre. Denn erstens adressieren die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in ihrem deklarativen Akt ja nicht sich selbst, sondern andere. Sie verweigern sich damit ihrer eigenen Verantwortung. Zweitens suggeriert der Begriff ›Notstand‹, es handele sich um einen vorrübergehenden Ausnahmezustand, der sich allein mithilfe der nötigen Gegenmaßnahmen in absehbarer Zeit wieder auflösen ließe. Doch von Ausnahme kann keine Rede mehr sein. Die Erderwärmung vollzieht sich bereits und sie lässt sich, womit auch immer, nicht mehr rückgängig machen. Alles politische Streben müsste sich nun darauf ausrichten, den weiteren Fortschritt des Klimawandels so eng wie möglich einzuhegen, seine Folgen vorauszusehen und die Anpassung daran zu gestalten. Drittens lähmt der Alarmismus des Europäischen Parlaments die tiefgehende rationale Auseinandersetzung mit der Jahrtausend-Herausforderung unnötig. Der Hirnforscher Gerald Hüther erklärt:»Unter den Bedingungen der Angst kann kein Mensch sein Gehirn noch vernünftig benutzen. […] Solange Sie in der Angst sind, können Sie auf den oberen Hirnbereichen nicht arbeiten. Was dann noch geht, das sind die älteren Muster: Wir fallen dann immer in alte Gewohnheiten zurück. […] Wenn sogar die zu übererregt sind, dann fällt man zurück in die alten Kindheitsmuster. […] Als letztes Notfallprogramm im Gehirn stehen schließlich die drei archaischen Reaktionsweisen Angriff, Flucht und ohnmächtige Erstarrung zur Verfügung.«
Mit seiner Polemik disqualifiziert das Europäische Parlament sich selbst als Ansprechpartner und als wichtige Kraft im Klimaschutz, ähnlich einem Flugkapitän, der sich damit bescheidet, ausdrucksstark auf den bevorstehenden Unfalltod hinzuweisen. »Werte Passagiere des Flugs [hier Kennung der Notstand ausrufenden Gebietskörperschaft eintragen], hier spricht Ihr Kapitän. Wir stürzen ab. Ich weiß nicht, woran es liegt und ich halte es auch nicht für meinen Job, die Katastrophe zu verhindern. Aber ich habe mich immerhin mit einem Notruf an die Flugleitzentrale gewandt.« Aktuelle wie auch künftige Generationen von Handelnden könnten von tragfähigen Verhaltensregeln für diesen jetzt eintretenden Dauerzustand viel mehr profitieren. Also beispielsweise von einer Klimaverfassung.