Die Forderung nach sozialer Ausgewogenheit bremst die Verkehrswende.
08.02.2020 | 6 Minuten
Wer eine handfeste Verbesserung der herrschenden Verkehrsverhältnisse wirksam verhindern will, braucht nur laut zu fordern, die geplanten Maßnahmen müssten sozial gerecht sein. Denn die können selbstverständlich nicht leisten, was schon das Gesamtsystem nicht hergibt. In der Folge werden die Maßnahmen ganz einfach nicht stattfinden. Das liegt an einer — bisweilen freilich absichtlich gepflegten — Verzerrung und Verwirrung der Debatte. Jüngst warnte der ADAC beispielsweise, die Erhöhung von Gebühren für Anwohnerparkausweise müsse ›soziale Härtefälle‹ berücksichtigen. Die Berliner Pläne für eine City Maut, als weiteres Beispiel, kommentiert eine merklich aufgebrachte Autorin mit der rhetorisch geschickten, sachlich aber völlig falschen Aussage: »Statt den Autofahrern wieder ans Portemonnaie zu gehen, muss Rot-Rot-Grün die Mobilitätswende, für die sich die Regierung gern selbst lobt, endlich sichtbar umsetzen.« Indem die Autorin diesen Gegensatz betont, will sie den Eindruck erwecken, es handele sich um zwei voneinander unabhängige Ereignisse. Tatsächlich bildet die eine Maßnahme — nämlich die Verteuerung des Autofahrens — aber eine Teilmenge des anderen Zusammenhangs — nämlich der Mobilitätswende.
Vorsätzliche Täuschung
Apostel der sozialen Gerechtigkeit in der Verkehrspolitik greifen überhaupt sehr gern zur stellvertretenden Empörung: Höhere Preise, Abgaben oder Gebühren für das Autofahren führten unweigerlich zum Ausschluss von Menschen, »die sich gerade noch ein Auto leisten können.« Damit erheben sie nicht etwa Mobilität an sich, sondern ganz speziell die Automobilität in den Rang eines menschlichen Grundbedürfnisses und die Frage nach der Versorgung mit Automobilität zur Frage nicht nur der sozialen Gerechtigkeit, sondern vor allem der sozialen Sicherheit — und am Ende vielleicht sogar zur Frage des sozialen Friedens, siehe beispielsweise die Gelbwestenproteste. Mobilität ließe sich nur durch Automobilität gewährleisten; diese Behauptung spricht jedenfalls aus solchen Argumentationsmustern — die ihrerseits entweder den Gipfel der vorsätzlichen und zynischen Täuschung bilden, oder ihr mindestens selbst erliegen.
Soziale Ungerechtigkeit in der Mobilität entsteht nämlich keineswegs aus den ungleich verteilten Möglichkeiten zur Teilhabe an Automobilität. Soziale Verwerfungen ergeben sich stattdessen aus der Tatsache, dass das automobile Regime Nicht-Autofahrer in ihrer Mobilität einschränkt, ihre Lebensgrundlagen zerstört und Leib und Leben gefährdet — sogar dann, wenn die Autolosigkeit nicht auf ökonomischen Parametern basiert, sondern auf einer freiwilligen Entscheidung. Die fällt indes immer schwerer. Denn die hiesige Verkehrspolitik prägt seit Jahrzehnten fortwährend räumliche und rechtliche Strukturen, die den Zwang zur Automobilität immer weiter verstärken. Sogar führende Experten sprechen von einer wachsenden Abhängigkeit vom Automobil. Genau darin findet sich letztlich der Höhepunkt der sozialen Ungerechtigkeit: Wer über ein Auto verfügt, erhält die meisten gemeinschaftlichen Ressourcen zugeteilt, obwohl er sich am wenigsten effizient fortbewegt. Piraterie statt Inklusion.
Gezwungenermaßen
Sich als soziales Gewissen zu gerieren im Angesicht drohender Veränderungen, zeugt deshalb keineswegs von feinfühliger Solidarität, sondern höchstens vom billigen Kalkül der Besitzstandswahrung. Verkehrspolitiker, die sich gegenseitig darin überbieten, niemandem wehtun zu wollen oder Autofahrer ›nicht noch weiter zu belasten‹, taugen nicht für ihren Job. Denn nur dann erfüllen verkehrspolitische Maßnahmen das Kriterium der sozialen Ausgewogenheit: wenn sie die massive Unfairness des Status Quo zu lindern helfen. Je mehr Menschen also vom Automobil auf andere Fortbewegungsmittel wechseln, und sei es gezwungenermaßen, desto mehr gewinnt die Gerechtigkeit.